MIT RA LECH OBARA, DEM VORSITZENDEN DES PATRIA NOSTRA VEREINS SPRICHT ZENON BARANOWSKI
DER PATRIA NOSTRA VEREIN ERGREIFT SEIT GERAUMER ZEIT MASSNAHMEN AUF GERICHTLICHEM WEGE, UM VON DEM DEUTSCHEN STAAT SCHADENERSATZ FÜR DAS WÄHREND DES ZWEITEN WELTKRIEGS DURCH DIE POLEN ERLITTENE UNRECHT ZU ERHALTEN. OBWOHL DAS GAR NICHT SO EINFACH IST.
– Fangen wir mit einer Erklärung an, denn es gibt viele Menschen, die Kriegsreparationen mit den Schadenersatzansprüchen natürlicher Personen für die Schäden und Unrechtstaten, durch die staatlichen Behörden oder deren Beamten verübt, gleichstellen. Dabei wird in der völkerrechtlichen Lehre zwischen den Kriegsreparationen und individuellen Schadenersatzansprüchen unterschieden. Kurz und bündig erklärt, bei den Kriegsreparationen geht es um Schadenersatz zwischen den Staaten, wobei die individuellen Ansprüche die Schäden bestimmter Personen am Leben und an der Gesundheit, Sklavenarbeit und Zwangsarbeit sowie die Sachschäden umfassen. Die Frage sowohl der Kriegsreparationen, als auch der individuellen Schadenersatzansprüche wurde noch nicht endgültig in den Rechtsvorschriften geregelt. Die Erklärung der Regierung der Volksrepublik Polen über den Verzicht auf Reparationen gegenüber der DDR ist als mangelhaft zu beurteilen und hat als solche keine Rechtskraft. Abgesehen davon bezog sich diese Erklärung lediglich auf die DDR und umfasste keinesfalls die individuellen Ansprüche.
Individuelle Ansprüche können vor Gericht geltend gemacht werden. Hier taucht jedoch das Problem der Staatenimmunität auf.
UND FOLGLICH WERDEN PRIVATE ANSPRÜCHE GEGEN DEUTSCHLAND DURCH DIE GERICHTE NICHT ÜBERPRÜFT.
– Dieses Rechtsinstitut ist für die Geltendmachung individueller Schadenersatzansprüche von entscheidender Bedeutung. Die Gerichtsimmunität in einem Zivilverfahren bedeutet, dass weder der Staat, noch dessen Organe vor Gerichten eines anderen Staates angeklagt werden dürfen. Daraus ergibt sich für das polnische Gericht eben die Notwendigkeit, die gegen die BRD erhobenen Klage abzuweisen. Und das, obwohl die Quelle der Normen bezüglich der Staatenimmunität in einer internationalen Rechtspraxis liegt. Die polnische Zivilverfahrensordnung enthält keine direkte Regelung bezüglich der Gerichtsimmunität eines fremden Staates. Die polnischen Gerichte, indem sie die Klagen auf Wiedergutmachung der durch die Opfer deutscher Verbrechen erlittenen Unrechtstaten abgewiesen haben, stellten fest, dass die Gerichtsimmunität eine völkerrechtliche Norm ist.
WIR BETONEN JEDOCH, DASS SICH DIESE EINSTELLUNG DER GERICHTE ZUR STAATENIMMUNITÄT ÄNDERT.
– Im Beschluss vom 29. Oktober 2010 über Pazifizierung des Dorfes Szczecyn im Jahre 1944 hat das Oberste Gericht vorgetragen, dass es sich dabei um ein Gewohnheitsrecht handelt, mit der Evolution des Völkerrechts besteht jedoch die Hoffnung, dass dieses Prinzip in der Zukunft aufgehoben wird. Das Oberste Gericht trug ferner vor, dass „auf der aktuellen Entwicklungsetappe des öffentlichen Völkerrechts dem deutschen Staat die Gerichtsimmunität in den Sachen wegen Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, durch die deutschen Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet Polens begangen, zusteht“. Es fügte ferner hinzu, dass die Gerichtsimmunität von keiner absoluter Natur sei, sondern das Produkt der Entscheidungspraxis bilde, die auf einer gewissen „Entwicklungsetappe des Völkerrechts“ zur materiellen Einschränkung dieses Instituts führen kann.
GERADE IN DER ENTSCHEIDUNGSPRAXIS DER GERICHTE IST EIN BEDEUTSAMES ELEMENT AUFGETRETEN, WONACH DIE IMMUNITÄT NICHT IM FALLE VON KRIEGSVERBRECHEN ODER VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT VERWENDET WERDEN DARF.
– Das war ein weiterer Versuch, die Staatenimmunität aufzuheben. Es geht hier um den Fall „Ferrini gegen Bundesrepublik Deutschland“, in der ein italienischer Bürger die Wiedergutmachung der Schäden geltend machte, die ihm während der Gefangenschaft, Deportation und Zwangsarbeit in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs hinzugefügt wurden. Nach den Schwierigkeiten vor den Gerichten niedrigerer Instanzen verweigerte das italienische Oberste Gericht in der Entscheidung vom 11. März 2004 die Anerkennung der Gerichtsimmunität Deutschlands. Das Oberste Gericht stellte fest, dass sich die völkerrechtliche Norm dermaßen entwickelte, dass dieses Institut keine Anwendung auf Taten findet, die zum Tod, Gesundheitsschäden oder Vermögensschäden führten, auch wenn solche Taten durch Streitkräfte eines fremden Staates verübt wurden. Nach der Beschwerde der deutschen Behörden erkannte der Internationale Gerichtshof im Jahre 2012, dass Italien doch die Immunität des deutschen Staates verletzt hat, der für Verstoße gegen humanitäres Völkerrecht während des Zweiten Weltkriegs nicht zur Rechenschaft gezogen werden darf. Aus der Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichtshofs, der 2014 die Verfassungswidrigkeit mancher Vorschriften anerkannte, ergibt sich, dass die Staatenimmunität jedoch nicht bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt. Inzwischen wurde diese gewohnheitsbedingte Immunität durch diese und viele weitere Sachen, vor allem in Griechenland und Italien, etwas gelockert.
EINE GRUPPE POLNISCHER ABGEORDNETER STELLTE BEIM VERFASSUNGSGERICHTSHOF EINEN ANTRAG BEZÜGLICH DER STAATENIMMUNITÄT IM JAHRE 2017, UND DANN ERNEUT IM JAHRE 2020. DIE ABGEORDNETEN BETONEN GERADE „DIE UNMÖGLICHKEIT DER GELTENDMACHUNG DES VON EINEM FREMDEN STAAT FÜR DIE KRIEGSVERBRECHEN, VÖLKERMORD UND VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT ZUSTEHENDEN SCHADENERSATZ VOR DEN POLNISCHEN GERICHTEN INFOLGE DER ANERKENNUNG DER GERICHTSIMMUNITÄT EINES FREMDEN STAATES“.
– Wir hoffen auf das diesbezügliche Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Der Antrag von über einhundert Abgeordneten wartet bereits vier Jahre auf die Bearbeitung. Wir erwarten von dem polnischen Verfassungsgerichtshof eine analoge Entscheidung wie diese des italienischen Tribunals. Diese Entscheidung würde den Weg zur Geltendmachung derartiger Ansprüche vor den polnischen Gerichten öffnen.
Bislang erwiesen sich jedoch die Versuche, die Staatenimmunität zu überwinden, als halbwegs erfolgreich, aber sie zeugen auf jeden Fall von ständiger Evolution dieses Rechtsinstituts. Es ist zu erwarten, dass zusammen mit der Entwicklung der völkerrechtlichen Lehre auch die Auslegung der Immunität geändert wird, und die Gerichte werden so langsam erwägen, ob die Souveränität eines Staates nicht doch zu Gunsten von Personen eingeschränkt werden soll, die zurecht Schadenersatz für grobe Verletzung des humanitären Völkerrechts geltend machen.
Es ist dabei ein wesentliches Argument zu betonen, das für den Ausschluss der Immunität spricht, und zwar die Unmöglichkeit der Geltendmachung individueller Ansprüche vor den deutschen Gerichten. Wegen der gewohnheitsmäßigen Natur der Norm bezüglich der Staatenimmunität und der ausbleibenden Regelungen in dem polnischen Recht, ist für die Entscheidungspraxis auch die Stellungnahme des Obersten Gerichts von wesentlicher Bedeutung.
GRUNDSÄTZLICH STEHEN DIE DEUTSCHEN DEN DISKUSSIONEN NICHT NUR ÜBER DIE KRIEGSREPARATIONEN, SONDERN AUCH ÜBER SCHADENERSATZANSPRÜCHE, GAR NICHT OFFEN GEGENÜBER.
– Das Problem liegt vor allem darin, dass die durch die deutsche Barbarei während des Zweiten Weltkriegs betroffenen Personen ihre Ansprüche vor den deutschen Gerichten nicht geltend machen können. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtshofs wurde die Haftung des deutschen Staates für die Kriegsmaßnahmen während des Zweiten Weltkriegs im Ausland ausgeschlossen. Ein Beispiel hierfür wäre der berühmte Fall aus dem Jahre 2003, als der Bundesgerichtshof erkannte, dass den Nachkommen der Opfer der Pazifizierung eines griechischen Dorfes Distomo kein Entschädigungsanspruch zusteht, denn zu dem Zeitpunkt, als dieses Verbrechen verübt wurde, standen die Opfer nicht unter dem völkerrechtlichen Schutz.
Außerdem gibt es immer wieder Meinungen, welche die Begründetheit der polnischen individueller Schadenersatzansprüche überhaupt abstreiten sollen. Sie werden von manchen deutschen Wissenschaftlern in Frage gestellt, die von einer „umfassenden Definition einer Reparation“ ausgehen. Wir müssen darauf gefasst sein, dass die Deutschen vor solchen Schwindeleien auch in der Zukunft nicht zurückschrecken werden, alles um die im Voraus angenommene These zu beweisen, dass alle unsere Ansprüche unbegründet sind.
Zum Glück gibt es auch eine Gruppe von Juristen und Historikern, die sich für die Reparationen bzw. Schadenersatzansprüche für das Polen und die Polen einsetzen. Der Historiker Dr. Karl Heinz Roth hat das Buch „Verdrängt – Vertagt – Zurückgewiesen: Die deutsche Reparationsschuld am Beispiel Polens und Griechenlands” geschrieben, dessen polnische Übersetzung durch das Westinstitut Posen (Instytut Zachodni w Poznaniu) herausgegeben wurde. Diese Veröffentlichung stieß auf positive Reaktionen mancher deutschen Historiker. Vor allem aber der mit dem Patria Nostra Verein zusammenarbeitenden Personen: Prof. Stephan Lehnstaedt aus Touro College Berlin, sowie Ahlrich Meyer, Werner Röhr, Hannes Heer und Christoph Schminck-Gustavus.
PATRIA NOSTRA HAT ES BEREITS VERSUCHT, IN VERBINDUNG MIT DER PAZIFIZIERUNG VON WOLA VOR GERICHT ZU TRETEN.
– Die Konferenz über das Massaker von Wola fand im Jahre 2019 statt. Wir haben an den Thesen bezüglich der individuellen Ansprüche gearbeitet. Aus verschiedenen Gründen konnte diese Sache jedoch nicht abgeschlossen werden. Wir unterstützen die Handlungen anderer Rechtsträger in den Sachen bezüglich der individuellen Ansprüche und solidarisieren uns mit ihnen. Und entwickeln unsere eigenen Maßnahmen. Letztes Jahr war während der internationalen wissenschaftlichen Konferenz in Berlin „Die Deutschen und die Verbrechen in Polen während des Zweiten Weltkriegs“ von dem deutschen Terror und dem Völkermord an den Polen während des Zweiten Weltkriegs die Rede. Es wurde beispielsweise über das moralische Recht diskutiert, von Deutschland Kriegsreparationen für unvorstellbare Zerstörungen geltend zu machen, die Polen währen des Krieges erlitten hat.
DAS NEUESTE, UMFASSENDE PROJEKT HEISST „KASCHUBISCHES GOLGOTA” – ÜBER DAS MASSAKER VON PIAŚNICA.
– Ja, im September haben wir mit der Umsetzung dieses Projektes angefangen. Es wird aus den Mitteln des Nationalen Instituts für Freiheit – Zentrum für die Entwicklung einer Bürgergesellschaft (Narodowy Instytut Wolności – Centrum Rozwoju Społeczeństwa Obywatelskiego) finanziert. Und im Rahmen dieses Projektes wurden zwei Konferenzen vorgesehen. Die wissenschaftliche Konferenz in Trójmiasto ist für Februar nächstes Jahr geplant. Anschließend findet noch eine ähnliche Konferenz in Berlin „Piaśnica – ein in Polen und in Deutschland vergessenes Verbrechen“ statt. Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, sowohl der polnischen als auch der deutschen Gesellschaft vor Augen zu führen, dass der erste Völkermord, den die deutschen Streitkräfte mittels der deutschen Zivilbevölkerung an dem polnischen Volk verübten, gerade das Massaker von Piaśnica war. Den Historikern zufolge sind dem Völkermord in den Wäldern von Piaśnica von 12 Tsd. bis zu 14 Tsd. Menschen zum Opfer gefallen. Davon möchten wir erzählen, denn unseren Forschungen zufolge sind die Tatsachen bezüglich dieses grausamen Verbrechens den Menschen völlig unbekannt. Wir machen uns nicht vor, dass die deutsche Gesellschaft, der mehrere Verbrechen der deutschen Streitkräfte im besetzten Polen unbekannt sind, von dem Massaker von Piaśnica etwas mitbekommen hat. Auch hier hoffen wir auf Unterstützung – darunter seitens der Medien – von der deutschen Seite. Viele unserer Maßnahmen werden in Deutschland, in Berlin, von dem dortigen auslandspolnischen Journalist – Krzysztof Novak – an die große Glocke gehängt. Er war auch derjenige, der einen äußerst interessanten Interview mit Prof. Roth durchführte.
EIN WICHTIGES ELEMENT IST DIE ENTWICKLUNG DES MODELLS INDIVIDUELLER ANSPRÜCHE UND DEREN GELTENDMACHUNG.
– Während dieser Konferenz möchten wir das Modell individueller Ansprüche seitens der Familien der Opfer gegen den deutschen Staat darlegen und die Frage der strafrechtlichen Haftung für das Massaker von Piaśnica besprechen. Wir hoffen darauf, dass die Nachfahren der Opfer Kontakt mit uns aufnehmen werden. Wir haben den individuellen Schadenersatzansprüchen gewidmete Rechtsunterlagen vorbereitet. Unsere Arbeiten sollten mit einer konkreten Klage gegen den deutschen Staat abgeschlossen werden, die durch die Familien der Opfer von Piaśnica erhoben wird und in der wir mit rechtlich stichhaltigen Argumenten begründen würden, dass die Geltendmachung solcher Ansprüche möglich ist. Ich möchte noch einmal betonen, dass diese Evolution der Auslegung der gewöhnlichen Staatenimmunität dermaßen ernsthaft fortschreitet, dass sich auch die Einstellung der Staaten zur Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen geändert hat und in vielen Staaten sind solche Entscheidungen bereits ergangen.
VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH.
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