NICHT NUR ERINNERUNG

Zenon Baranowski

Es wird von immer mehr Gerichten anerkannt, dass die bisherige Rechtspraxis, die Staaten vor individuellen Klagen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bei Kriegsverbrechen zu schützen, nicht mehr gültig ist und individuelle Klagen zulässig sind.

Es ist möglich, den gewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Immunität zu überwinden, wenn es sich um individuelle Schadenersatzansprüche wegen des während des Zweiten Weltkriegs erlittenes Unrecht handelt.

Im September beginnt der Patria Nostra Verein mit der Umsetzung des Projektes „Kaschubisches Golgota“ über das Massaker von Piaśnica. Das Projekt wird aus den Mitteln des Nationalen Instituts für Freiheit – Zentrum für die Entwicklung einer Bürgergesellschaft (Narodowy Instytut Wolności – Centrum Rozwoju Społeczeństwa Obywatelskiego) finanziert. Im Rahmen von diesem Unterfangen wurden zwei Konferenzen u.d.T. „Piaśnica – ein in Polen und in Deutschland vergessenes Verbrechen” vorgesehen. Eine Konferenz wurde in Berlin geplant. Während dieser Konferenz werden solche juristischen Aspekte wie die strafrechtliche Haftung für das Massaker von Piaśnica besprochen. Am Beispiel von Piaśnica wird auch die Frage der individuellen Haftung des deutschen Staates für die während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen angesprochen.

Während dieser Konferenz möchten wir das Modell individueller Ansprüche seitens der Opfer und der Familien bereits verstorbener Personen gegen den deutschen Staat darlegen – erklärt RA Lech Obara im Gespräch mit der Tageszeitung „Nasz Dziennik“.

Er betont, dass die Frage der Geltendmachung individueller Ansprüche in juristischer Hinsicht durch den Patria Nostra Verein bereits bei dem Massaker von Wola geschildert wurde. – Jetzt analysieren wir den Fall Piaśnica – so der Rechtsanwalt.

In dem Wald von Piaśnica wurden zwischen September 1939 und April 1940 – den Schätzungen zufolge – sogar bis zu 14 Tausend Menschen ermordet. Unter den Opfern der Deutschen waren die Vertreter der Intelligenz, verschiedener Stände, darunter auch Frauen und sogar Kinder. – Jede Initiative, die eine „Wiedergutmachung“ anstrebt – obwohl dieses Wort bei einer Gräueltat wie diese in dem Wald von Piaśnica äußerst unangemessen ist – verdient Anerkennung – bemerkt Marcin Drewa aus dem Verein „Rodzina Piaśnicka“ im Gespräch mit „Nasz Dziennik“. – Es ist äußerst wichtig, nicht nur um die Erinnerung an das Verbrechen zu kämpfen, und genau das tun wir. Wir propagieren die Geschichte über den Wald in Piaśnica und über sonstige Standorte deutscher Verbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs in Pommern verübt wurden, und es gibt Unmengen davon. Wir verbreiten die Wahrheit über die Geschichte, wir erziehen die jungen Generationen und ich unterstütze solche Initiativen immer, wenn es möglich ist, um die Würde und Wiedergutmachung für die Opfer zu kämpfen. Ich freue mich sehr darüber, dass gerade RA Lech Obara – der für seinen Kampf für die Rechte der Opfer des Zweiten Weltkriegs bekannt ist, diese Initiative ergreift – fügt der Aktivist hinzu.

REPARATIONEN UND ANSPRÜCHE

Rechtsanwalt Lech Obara betont, dass es viele Menschen gibt, die zwischen Reparationen und individuellen Ansprüchen nicht so richtig unterscheiden können, dabei wird in der völkerrechtlichen Lehre zwischen den Kriegsreparationen und individuellen Schadenersatzansprüchen unterschieden. Die zweiten können vor Gericht geltend gemacht werden. Hier taucht jedoch das Problem der sog. Staatenimmunität auf, was bedeutet, dass private Ansprüche gegen Deutschland durch die Gerichte nicht überprüft werden.

Der Rechtsanwalt betont jedoch, dass sich dieses Recht aus einer Rechtspraxis ergibt, die in der letzten Dekade sichtbar gelockert wurde. Darauf wies übrigens das polnische Oberste Gericht in seiner Entscheidung von 2010 hin. In der letzten Dekade waren auch die Urteile der italienischen und griechischen Gerichte ergangen. In Italien stellte das Oberste Gericht fest, dass Deutschland keine Immunität zusteht. Nachdem Deutschland die Berufung eingelegt hatte, wurde dieses Urteil durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag geändert, der italienische Verfassungsgerichtshof erkannte jedoch 2014, dass die Rechtspraxis, die Staaten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bei Kriegsverbrechen vor individuellen Klagen zu schützen, nicht mehr gültig ist und sogar individuelle Klagen zulässig sind.

Der Vorsitzende des Patria Nostra Vereins erwartet von dem polnischen Verfassungsgerichtshof eine ähnliche Entscheidung wie die des italienischen Tribunals. – Und das ist auch die Idee hinter unserem Antrag – das durch das Tribunal der Weg für derartige Verfahren eröffnet wird – so der Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk, einer der Vertreter der Antragsteller im Gespräch mit „Nasz Dziennik“. Eine Abgeordnetengruppe hat 2017 einen Antrag bezüglich der Staatenimmunität eingereicht, und dann erneut im Jahre 2020. Die Abgeordneten betonen „die Unmöglichkeit der Geltendmachung des von einem fremden Staat für die Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zustehenden Schadenersatz vor den polnischen Gerichten infolge der Anerkennung der Gerichtsimmunität eines fremden Staates“.

Es bleibt jetzt nur, die Prüfung des Antrags durch den Verfassungsgerichtshof abzuwarten, der es jedoch nicht eilig hat.

Wir haben den Antrag vorbereitet, außerdem habe ich mit einem Schreiben die Bearbeitung des Antrags ersucht, ich warte jetzt auf die Überprüfung – berichtet Arkadiusz Mularczyk. – Auch ich bin davon überzeugt, dass es sich dabei um eine äußerst wichtige Frage hinsichtlich der Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen handelt, denn die Kriegsgeneration scheidet allmählich von der Erde. Ich bedauere, dass sich das Tribunal so lange mit dieser Sache beschäftigt – konstatiert er.

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